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experience report by Nils Amadeus Lange
Deutsch
In irgendeinem der 16 Stockwerke des Mobimo Hochhauses im Westen Zürichs betreten die Zuschauer:innen irgendeins der verlassenen Grossraumbüros. Möbel gibt es keine mehr, keine Telefone, die klingeln, keine schlechten oder halbschlechten Arbeitsbedingungen. Und auch der Glaube an den ehemaligen Grosskonzern scheint vertrieben.
Der Raum füllt sich schleichend mit Nebel, kriecht über den Boden zwischen den Zuschauer:innen vorbei, scheint in die Poren des Betons einzudringen und verzerrt den Ausblick aus der langen Fensterfront hin zu einer Unschärfe. Mit der Verneblung kehrt auch eine Melancholie ein, die durch eine finstere Soundlandschaft verstärkt wird. «When you died, i said…»1 hallt es aus den Lautsprechern, die verloren im Raum stehen. Der Gesang ist verlangsamt, unterstrichen von anhaltenden Tönen, die sich zu Clustern entwickeln und dem leeren Raum eine Fülle geben. Es scheint als beginnt die Performance mit einem Sterben: Dem Sterben von Sinnhaftigkeit. Der Kapitulation des Verstehen-wollens. Dem Zerfall von Erwartung.
Aus diesem hoffnungslosen Plateau schnitzen sich die Körper der Performer:innen Joseph:ine Baan und Luc Häfliger wie bei einem Karneol Ring aus der Opazität heraus. Sie sind schemenhaft, ihrer Lebendigkeit beraubt. Ihre Existenzen scheinen im Nebel nicht mehr verteidigt werden zu müssen, wie es auch auf die Existenzen von Geistern zutrifft.
Auch wenn durch das Erhitzen von Ölen und denen daraus entstehenden Gasen bereits im antiken Theater Nebel als Effekt benutzt wurde, scheint es hier den Nerv unserer Zeit zu treffen. Der Nebel lässt die Grenze von Zuschauer:innen und Performer:innen verschwinden und kommt nicht als Effekt zum Einsatz, sondern als integraler Bestandteil. Er wird Mitspieler und Intérieur zu gleich. Das Sichtbare scheint wie durch einen Schleier verbirgt und offenbart zur gleichen Zeit unsichtbare Prozesse.
Ähnlich den bekannten Schweizer Scherenschnitten von Alpaufzügen entsteht durch die Schattenrisse der Körper eine märchenhafte Landschaft, in der die 1 «Grief Lessons» von Little Prince Sigrid Betrachtenden dazu aufgefordert werden Farben und Gesichter selbst zu imaginieren.
Nach Anhaltspunkten suchend erscheinen mir die Kostüme als etwas seltsam vertrautes. Zitathaft werden Überbleibsel von kodierter Männlichkeiten in den Raum gestellt: Ein Frack, Feinrippunterhosen mit Eingriffen, weisse Hemden. Auch wenn der Nebel alles grau erscheinen lässt, blitzt das rote Make-up aus dem Dunst hervor. Auf dem barock gepuderten Gesicht zeichnet sich ein gebrochener Clown ab. Es sind die Clowns, die in klassischen Theaterstücken die Wahrheit sprechen dürfen. Sie regen uns durch ihre alternativen Lebensformen und ihrer kindlichen Logik zum Nachdenken an. Genau diese Narrenfreiheit bietet Joseph:ine Baan und Luc Häfliger die Möglichkeit in eine sozialkritische Rolle treten zu können, die fast ohne Worte auskommt. Auch die sich allmählich entwickelnden Bewegungen bleiben zitathaft und erinnern an höfische Tänze, die losgelöst von ihrer gesellschaftlichen Funktion eher das Gefühl von Einsamkeit evozieren.
Analog zur literarischen Gestalt des Flaneurs scheint in der Absichtslosigkeit der Bewegungen und den kontemplativen Wiederholungen ein stiller Widerstand erprobt zu werden, der uns selbst zu introspektiven Erkundungen bewegt. Durch die Umpositionierung der rollenden Scheinwerfen entstehen stetig neue Bühnen, die als Angebot eines Ins-Spiel-Kommens verstanden werden können, aber meist verweigert werden.
Bevor der Abend einbricht und das Licht mit sich zieht, reissen die Wolken ein letztes Mal auf und schenken uns einen Augenblick Abendsonne. Durch den erkalteten Nebel werden die goldenen Lichtstrahlen sichtbar und bieten uns einen Moment, den wir künstlich nie reproduzieren könnten.
Die Nadeln des Plattenspielers kratzen sich gleichzeitig bei jeder Umdrehung tiefer in die aus Sandstein gefertigte Platte. Der Sound entsteht durch das Ritzen der Furchen und verändert seine Gestalt mit jeder Umdrehung.
Es versinnbildlicht, dass wir trotz harte Widerstände Spuren hinterlassen. Musik machen. Eine eigene Logik entwerfen.
In irgendeinem der 16 Stockwerke des Mobimo Hochhauses im Westen Zürichs betreten die Zuschauer:innen irgendeins der verlassenen Grossraumbüros. Möbel gibt es keine mehr, keine Telefone, die klingeln, keine schlechten oder halbschlechten Arbeitsbedingungen. Und auch der Glaube an den ehemaligen Grosskonzern scheint vertrieben.
Der Raum füllt sich schleichend mit Nebel, kriecht über den Boden zwischen den Zuschauer:innen vorbei, scheint in die Poren des Betons einzudringen und verzerrt den Ausblick aus der langen Fensterfront hin zu einer Unschärfe. Mit der Verneblung kehrt auch eine Melancholie ein, die durch eine finstere Soundlandschaft verstärkt wird. «When you died, i said…»1 hallt es aus den Lautsprechern, die verloren im Raum stehen. Der Gesang ist verlangsamt, unterstrichen von anhaltenden Tönen, die sich zu Clustern entwickeln und dem leeren Raum eine Fülle geben. Es scheint als beginnt die Performance mit einem Sterben: Dem Sterben von Sinnhaftigkeit. Der Kapitulation des Verstehen-wollens. Dem Zerfall von Erwartung.
Aus diesem hoffnungslosen Plateau schnitzen sich die Körper der Performer:innen Joseph:ine Baan und Luc Häfliger wie bei einem Karneol Ring aus der Opazität heraus. Sie sind schemenhaft, ihrer Lebendigkeit beraubt. Ihre Existenzen scheinen im Nebel nicht mehr verteidigt werden zu müssen, wie es auch auf die Existenzen von Geistern zutrifft.
Auch wenn durch das Erhitzen von Ölen und denen daraus entstehenden Gasen bereits im antiken Theater Nebel als Effekt benutzt wurde, scheint es hier den Nerv unserer Zeit zu treffen. Der Nebel lässt die Grenze von Zuschauer:innen und Performer:innen verschwinden und kommt nicht als Effekt zum Einsatz, sondern als integraler Bestandteil. Er wird Mitspieler und Intérieur zu gleich. Das Sichtbare scheint wie durch einen Schleier verbirgt und offenbart zur gleichen Zeit unsichtbare Prozesse.
Ähnlich den bekannten Schweizer Scherenschnitten von Alpaufzügen entsteht durch die Schattenrisse der Körper eine märchenhafte Landschaft, in der die 1 «Grief Lessons» von Little Prince Sigrid Betrachtenden dazu aufgefordert werden Farben und Gesichter selbst zu imaginieren.
Nach Anhaltspunkten suchend erscheinen mir die Kostüme als etwas seltsam vertrautes. Zitathaft werden Überbleibsel von kodierter Männlichkeiten in den Raum gestellt: Ein Frack, Feinrippunterhosen mit Eingriffen, weisse Hemden. Auch wenn der Nebel alles grau erscheinen lässt, blitzt das rote Make-up aus dem Dunst hervor. Auf dem barock gepuderten Gesicht zeichnet sich ein gebrochener Clown ab. Es sind die Clowns, die in klassischen Theaterstücken die Wahrheit sprechen dürfen. Sie regen uns durch ihre alternativen Lebensformen und ihrer kindlichen Logik zum Nachdenken an. Genau diese Narrenfreiheit bietet Joseph:ine Baan und Luc Häfliger die Möglichkeit in eine sozialkritische Rolle treten zu können, die fast ohne Worte auskommt. Auch die sich allmählich entwickelnden Bewegungen bleiben zitathaft und erinnern an höfische Tänze, die losgelöst von ihrer gesellschaftlichen Funktion eher das Gefühl von Einsamkeit evozieren.
Analog zur literarischen Gestalt des Flaneurs scheint in der Absichtslosigkeit der Bewegungen und den kontemplativen Wiederholungen ein stiller Widerstand erprobt zu werden, der uns selbst zu introspektiven Erkundungen bewegt. Durch die Umpositionierung der rollenden Scheinwerfen entstehen stetig neue Bühnen, die als Angebot eines Ins-Spiel-Kommens verstanden werden können, aber meist verweigert werden.
Bevor der Abend einbricht und das Licht mit sich zieht, reissen die Wolken ein letztes Mal auf und schenken uns einen Augenblick Abendsonne. Durch den erkalteten Nebel werden die goldenen Lichtstrahlen sichtbar und bieten uns einen Moment, den wir künstlich nie reproduzieren könnten.
Die Nadeln des Plattenspielers kratzen sich gleichzeitig bei jeder Umdrehung tiefer in die aus Sandstein gefertigte Platte. Der Sound entsteht durch das Ritzen der Furchen und verändert seine Gestalt mit jeder Umdrehung.
Es versinnbildlicht, dass wir trotz harte Widerstände Spuren hinterlassen. Musik machen. Eine eigene Logik entwerfen.